Seelsorge vs. Psychotherapie
Wir möchten Seelsorge und die wissenschaftliche Psychologie in Kontrast setzen und darauf eingehen, ob und in welchem Maße ein integrativer Ansatz möglich und sinnvoll ist.
Das Wort „Psychologie” bedeutet einfach „Lehre von der Seele”, als „Wissenschaft vom Verhalten und Erleben des Menschen”. Sie ist eine Wissenschaft, da empirische Forschung nur mit Beobachtbarem, Messbarem und reproduzierbaren Ergebnissen betrieben werden kann. Sie hat ihre Grenze am Scheidepunkt des immanenten zum transzendenten Teil, beschränkt sich also auf das beobachtbare, messbare und objektivierbare Verhalten und Erleben eines Menschen. Von daher ist die eigentliche, non-materielle „Lehre von der Seele“ Arbeitsbereich der Philosophen. Dritter im Bunde ist das medinische Fachgebiet der Psychiatrie, das sich in erster Linie medikamentös mit Geistes- und Gemütskrankheiten befasst.
Problematik der Immanenz/Transzendenz
Die enge Verbindung der Wissenschaften von Psychologie und Philosophie führt dazu, dass das psychologische Menschenbild im Wesentlichen von vier philosophischen Systemen geprägt ist:
- Philosophischer Materialismus: alles ist Materie oder eine Funktion von Materie, es gibt nichts Immaterielles (Immanenz vs. Transzendenz).
- Darwinismus: ein Mensch ist eine entwicklungsgeschichtliche Fortsetzung des Tieres, woraus sich unterschiedliche Verhaltensmuster ableiten lassen.
- Humanismus: der Mensch ist von Natur aus gut; er hat in sich einen guten Kern, den es zu fördern gilt.
- Determinismus: heißt, dass der Mensch durch seine Entwicklungsgeschichte weitgehend festgelegt ist.
Im klaren Widerspruch dazu setzt die christliche, therapeutische Seelsorge bei der „Neuen Natur” des Christen an (Römer 7:6), an dem inneren Menschen (Epheser 3:16). Das Heilwerden geschieht von innen nach außen (Matthäus 23:26). Die auf den äußeren Menschen reduzierte Sicht der Psychotherapie kann deshalb auch nur „oberflächlich“ diagnostizieren und attestieren und als Resultat nur unzureichende Verhaltensänderung bewirken. Die Aufgabe der Psychotherapie besteht in der Behandlung neurotischer Konflikte und psychischer Erkrankungen. Sie kann unter Umständen helfen, den subjektiven Sinn einer spezifischen Lebenssituation herauszufinden. Zur Beantwortung existentieller Fragen des Menschseins wie Zufall, Schuld, Leid, Ungerechtigkeit, Wahrheit, Tod, Glück, Sinn des Lebens ist sie fachlich nicht in der Lage.
Ein inkompatibles Menschenbild
Einen zweiten elementaren Kontrast sehen wir in dem zugrundeliegenden Menschenbild. Die immanent ausgerichtete, säkulare Psychologie leugnet verständlicherweise die transzendente Verantwortung gegenüber Gott, ebenso Schuld und Sünde. So schrieben wegweisende Psychoanalytiker wie Freud, selbst Talmudlehrer wie Rabinow und auch der deutsche Psychoanalytiker und Philosoph Erich Fromm, dass der ethische Sündenbegriff in letzter Konsequenz Verantwortung nur vor sich selbst habe, denn jeder ist sein eigener Gott (intrapersonale Perspektive); ebenso auch, seine Erlösung könne „nicht durch eine äußere Macht bewirkt werden, sondern allein durch die ihm als autonomem Wesen innewohnenden Kraft, sich selbst zu erheben” (Rabinow). Sehr schnell wird dann die Frage der „Schuld“ negiert und auf den Begriff „Schuldgefühle“ reduziert. Letztendlich spricht man dem Menschen dann aber die Fähigkeit ab, verantwortlich und damit selbstbestimmt zu handeln.
Das widerspricht der biblischen Lehre und unserer Überzeugung, dass jeder Einzelne die persönliche Verantwortung für seine eigenen Taten, Einstellungen, Entscheidungen und Reaktionen trägt.
Ebenso überzeugt sind wir, dass die heutige Viktimisierung (Opfermentalität), flankiert von Schuldzuweisungen an andere Menschen, die Gesellschaft oder die Umwelt letztendlich zu Bitterkeit, Hoffnungslosigkeit und Hilflosigkeit führt. Das ist verständlich, da bei einem immanenten Menschenbild Veränderung nur durch eigene Ressourcen möglich sind: man muss „an sich arbeiten” bzw. „sich ändern“. Die christliche, therapeutische Seelsorge verweist auf Ressourcen Gottes, bezieht sie ein und kann sagen: „Lass Christus an dir arbeiten!” bzw. „Lass Dich verändern!“
Ein diametrales Selbstverständnis
Eine gefährliche Vermengung von Humanismus und biblischer Lehre erkennen wir auch in dem Themenkomplex der Selbstliebe. Selbstverwirklichung und Selbsterfüllung, bedingungslose Selbstliebe und -annahme sind das Steckenpferd der humanistischen Psychologie und führt auch unter Christen zu Auswüchsen wie Egozentrik (das Ich als Mittelpunkt meines Leben) und Egoismus (die eigenen Interessen stellen ein legitimes Motiv für alle menschlichen Handlungen dar). Wir haben den Eindruck, dass es oft mehr um Selbsterfüllung als eine geklärte, bereinigte Gottesbeziehung geht. Das Ego, das ohnehin meist auf dem Herrscher-Thron des Lebens sitzt, wird aufgebaut und gestärkt. Doch Gott will, dass es zu einem Herrschaftswechsel kommt, nämlich, dass das Ego abdankt und Christus den Thron überlässt.
Resümee
Der Kontrast könnte nicht größer sein: Die Psychotherapie bringt vor allem die Bedeutung eigener Gefühle, der Erinnerung, der Vorstellungskraft und der Beziehungsqualität ein, die Seelsorge verlässt sich auf das Wissen und die Erfahrung um die Wirklichkeit und Wirksamkeit des dreieinigen Gottes. Konsequenterweise besteht die Aufgabe christlicher Seelsorge in der Freisetzung und Stärkung christlichen Verhaltens zur Lebensbewältigung.
Welche Konsequenzen bedeutet nun diese Erkenntnis der Wirklichkeit und Wirksamkeit Gottes und dass der Psychologie diametral entgegenstehenden Verständnis von Mensch und Seele für unsere christliche therapeutische Seelsorge?
Therapeutische Seelsorge muss ganzheitlich wirken
Die Seelsorge berücksichtigt und adressiert Leib, Seele und Geist. Diese drei unzertrennlichen Dimensionen stehen im Kontext mit dem lebendigen Gott und werden in Beratungsgesprächen kommuniziert. Denken, Fühlen, Handeln und Glauben können nicht getrennt diagnostiziert und behandelt werden, sachliche und geistliche Aspekte müssen ausgewogen berücksichtigt werden.
Therapeutische Seelsorge bezieht immanente und transzendente Beziehungen mit ein
Zweifelsohne gleicht unser „Innenleben“ oft einer großen Baustelle, ebenso unsere horizontalen, irdischen Beziehungen. Wir erweitern den Blick aber auf die vertikale Beziehungsebene, berücksichtigen also okkulte und geistliche Beziehungen in unseren Beratungsgesprächen.
Therapeutische Seelsorge nutzt keine Psychotherapie, nutzt aber psychologische Erkenntnisse
Da sich die Sicht der Psychoanalyse und -therapie auf den empirisch-immanenten Bereich beschränkt, wäre es wertmindernd, Menschen allein mit psychotherapeutischen Techniken und Methoden helfen zu wollen. Je mehr der Mensch ein Leben aus Christus und mit Christus führt, desto leichter wird es, seine Defizite zu erkennen, sie ins Gebet zu nehmen und an der Kurskorrektur (nicht nur Verhaltenskorrektur) zu arbeiten.