Seelsorge – eine differenzierte Sicht
Wir befinden uns in einem schon lang andauernden, massiven, gesellschaftlichen Wandel. In einem immer mehr durch Digitalisierung beschleunigten Umfeld sehen wir enorme, weltanschauliche Umbrüche und Tendenzen: Säkularisierung, Pluralisierung, Individualisierung und Globalisierung lösen noch vor Jahren etablierte Orientierungs- und Haltepunkte ab und führen zu steigendem Bedarf nach weltanschaulicher Orientierung.
Zur Stillung dieses Bedarfs ist eine wahre „Psycho-Szene“ mit einem unüberschaubarer Markt von „Glücks-Guru“-Seminaren, Lebenshilfe- und Selbstverwirklichungs-Angeboten entstanden. Aus unserer Sicht kann dies – wie auch die moderne Psychologie – aber keine ganzheitliche Therapieform anbieten oder gewährleisten, da sie ihren Sichtbereich auf den immanenten Teil (das, was im Handelnden beginnt und endet) des Menschen beschränkt und den transzendenten (das, über den Handelnden hinausgeht) meist ausschließt. Ganzheitliche Seelsorge muss den Anspruch haben, den immanenten und den transzendenten Teil gleichermaßen zu berücksichtigen.
Eine Begründung finden wir im biblischen Schöpfungsbericht, da der Mensch keine Seele erhielt (wie Körper und Geist), sondern wir lesen „und der Mensch wurde eine lebendige Seele.“ (1.Mose 2:7).
Wir verstehen die Seele also als die Ganzheit einer in sich abgeschlossenen Person, die denken, fühlen, wollen kann und mit entsprechenden Fähig-/Fertigkeiten ausgestattet ist. Der Geist ist hingegen der Konnektor, mit dem Menschen in Beziehung zu Gott treten können und der Körper ist der Leib ist der Teil des Menschen, mithilfe dessen er in Beziehung mit der Welt treten kann und zugleich das Werkzeug, mit dem er auf sie einwirkt.
Folgerichtig ist unser Therapieziel ebenfalls eine ganzheitliche Heilung im Sinne des Heilwerdens. Ein Lebewesen in der Schöpfung Gottes kann nicht isoliert (immanent) betrachtet werden, da es sich als Geschöpf in einer Gottesbeziehung (transzendent) befindet. Ganzheitliche Seelsorge umfasst Glaubens- und Lebenshilfe gleichermaßen, damit eine völlige Wiederherstellung und Funktionsfähigkeit wiederhergestellt wird.
Aus vielen Seelsorgefällen wissen wir, dass nicht nur das Problem als solches, sondern auch die Entwicklung unseres Charakters in der Not und unser Umgang mit Schwierigkeiten wertvolles Potential bietet. Wir wollen meist, dass sich unsere Lebenssituation einfach ändert und ggf. die Vergangenheit ungeschehen gemacht wird – aber Gott ist daran interessiert, uns zu verändern. Diesen Veränderungsprozess verstehen wir als ganzheitliche, therapeutische Seelsorge.
Wir therapieren jeden Klienten und respektieren seinen „Lebensraum“, also z.B. losgelöst von kultureller oder religiöser Prägung. Doch auch wenn viele „horizontale“ Faktoren unser Leben beeinflussen, sind die letztendlichen Ursachen oft nicht in den unglücklichen Umständen, der Verschmutzung von der Luft und dem Wasser, der Lärmbelästigung oder dem Stress zu finden. In den meisten Fällen ist die eigentliche Ursache in „vertikaler“ Ebene zu finden, der gestörten oder fehlenden Beziehung des Menschen zu seinem Schöpfer. Die heutige Anforderung besteht also in kompetenten Fachseelsorgern, die in der Lage sind, den Ratsuchenden bei Ängsten, Zwängen, Stresssymptomen, Ehe- und Familienkonflikten, Glaubens- und Lebensproblemen fachliche Gesprächsangebote zu machen und sie zugleich in ihrer „vertikalen Dimension“, das heißt in der Gottesbeziehung, ernst zu nehmen.